„Geduld, Vertrauen und unerschütterliche Entschlossenheit“ – von einem, dessen Lebensweg anders als geplant verlief und der darin seine Erfüllung fand
Von Christiane Stauss
Wenn Ken morgens an seiner Schule ankommt, dann ist er in erster Linie erst einmal froh.
Froh darüber, dass sich immerhin ein paar seiner Schüler in dem Klassenraum eingefunden haben.
Ken ist 32 Jahre alt und Lehrer an der Schule von Namosi in Bungoma County – einem Landkreis in Kenia, in dem rund 1,7 Mio Menschen leben und in dem gerade einmal 3,1 Prozent der Haushalte an die Stromversorgung angeschlossen sind.
Der Großteil der Bevölkerung hier lebt vom Mais- oder Zuckerrohranbau. Der Zugang zu Wasser ist dank zahlreicher Flüsse und einer sehr hohen Niederschlagsmenge durch das Jahr hindurch kein Problem, zumindest nicht für die Bewässerung der Pflanzen. Für Ken und seine Schüler allerdings schon:
„Viele der Kinder kommen zwar aus der näheren Umgebung. Aber einige müssen fast 10 Kilometer zurücklegen – zu Fuß. Besonders schlimm ist der Schulweg zur Regenzeit. Denn an den meisten Flüssen gibt es kaum Brücken. Und einfach so durch das Wasser zu gehen, geht bei Überflutungen natürlich nicht. Das wäre tödlich. Also müssen die Kids eine Brücke finden, über die sie gefahrlos den Fluss durchqueren können. Das kann dauern und heißt auch, dass viele Schüler zu den ersten Unterrichtsstunden zu spät kommen und Unterrichtsstoff verpassen“, erklärt Ken.
Englisch und Bio sind die Fächer, die er unterrichtet. Ken ist engagiert, er liebt seine Arbeit und weiß, wie wichtig sie ist. Doch dass er heute überhaupt da ist, wo er jetzt ist, war eigentlich gar nicht so geplant.
„Mein großer Traum war immer, Journalist zu werden. Lehrer zu werden, daran habe ich nie gedacht“, lacht er fröhlich. Doch wie es zu seinem Lehrerdasein kam, klingt dann gar nicht so lustig:
„Ich bin früh Waise geworden und habe mich alleine mit meinen Geschwistern durchs Leben geschlagen. Um ein wenig Geld zu verdienen, haben wir Holzkohle und Gemüse verkauft. Doch das reichte für die Schulgebühren kaum aus, so dass ich die Schule früh verlassen musste.“
Er hielt jedoch weiter an seinem Traum, Journalist zu werden, fest und konnte sich mit der Zeit auch Geld für die Studiengebühren erarbeiten. „Für das Studium meiner Wahl reichte es aber einfach nicht aus. Ich musste mich also neu orientieren, musste umdenken und dann ein Studienfach wählen, welches ich mir leisten konnte. Und so wurde ich dann Lehrer. Und das ist auch gut so“, sagt er.
Er erkläre den Kindern gerne, wie wichtig es ist, auch in schweren Zeiten Geduld zu haben und an sich zu glauben. Und wie wichtig es ist, sich Ziele zu setzen und diese entschlossen zu verfolgen.
Und so antworten auch viele Schüler auf Kens Frage, was sie später denn werden wollen, mit „Arzt“ oder „Polizist“ oder „Pilot“. Das macht Ken stolz und zuversichtlich, doch er hofft auch, dass bei den Kids der Start in das Berufsleben anders verläuft, als bei ihm selbst. „Ich wünsche mir, dass bei meinen Schülern nicht das Schicksal entscheidet, was aus ihnen wird. Sie selbst sollen sich ihre Arbeit aussuchen können; sie selbst sollen eine Entscheidung treffen können und das verfolgen und umsetzen können, was sie glücklich macht.“
Wenn die Kinder dann trotz der Regensaison unbeschadet den Weg in die Schule überstanden haben, ist Ken zwar erleichtert, gleichzeitig aber auch besorgt, denn die Schule ist zu klein. „In der ersten Klasse haben wir 120 Schüler in einem Raum! Das ist zu viel“ Und es geht noch schlimmer: „In der achten Klasse, in der ich unterrichte, gibt es 74 Jungs und 64 Mädchen. Das sind 138 Schüler plus eine Lehrkraft auf engstem Raum“, erzählt er besorgt. Und dabei ist so ein Klassenraum nicht mal ansatzweise das, was WIR unter einem Klassenraum verstehen: Die Kids sitzen auf Holzbänken, es gibt keine Fenster und es ist heiß. Sehr heiß. „Im Sommer haben wir hier tägliche Temperaturen von ungefähr 33 Grad.“
Das Problem mit den hohen Temperaturen kann natürlich keiner ändern; die Unterrichts-Umstände allerdings schon: mehrere Tausend Euro wurden bislang gespendet und in die Verbesserung der Räumlichkeiten der Schule investiert.
Doch leider nützt das alles in Zeiten einer Pandemie wenig. Alle Schulen, so Ken, sind nun seit Monaten geschlossen, die Kinder müssen zu Hause bleiben – und das ist ein riesiges Problem.
Und: ein Problem anderer Art, als man zunächst annehmen würde: „Dank der vielen Spenden von „Hamburger mit Herz“ ist es möglich, dass einige Schüler trotz der Isolation in den eigenen vier Wänden das Lehrmaterial durch Kuriere bekommen und so weiterhin an Tests und Arbeiten teilnehmen können. Sie können zwar nicht in die Schule, aber die Schule kann zu ihnen kommen.“
Die eigentliche Problematik liegt ganz woanders:
„Die Schwangerschaftsrate ist seit Covid-19 rapide in die Höhe geschossen. Allein bei uns in Bungoma County sind jetzt mehr als 5.000 junge Mädchen schwanger. In Kakamega County ist die Zahl der schwangeren Mädchen auf über 11.000 angestiegen!“
Warum die Zahl der frühen Schwangerschaften zu explodieren scheint? Ken kennt die besorgniserregenden Gründen: „Viele Mädchen stimmen dem Sex mit Jungs zu, weil diese ihnen Geld dafür geben. Das Geld wiederum brauchen die Mädchen, um sich damit Hygieneartikel für ihre monatliche Menstruation zu kaufen. Normalerweise bekommen sie diese Dinge von der Schule gestellt. Da die Schulen aber wegen Corona geschlossen sind, müssen sie sich diese wichtigen Utensilien selber besorgen.“
Und so gehen viele Mädchen diesen schlimmen Tauschhandel ein.
Auch das Unwissen darüber, wann und wieso eine Schwangerschaft zustande kommen kann und die Tatsache, dass etwa Kondome nicht an junge Mädchen verkauft werden, haben die Schwangerschaften in die Höhe schnellen lassen, erklärt uns Ken und appelliert:
„Wir müssen die Kids beschäftigt halten, damit sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen. Und wir müssen aufklären. Die Kinder müssen wissen, wann ein Mädchen schwanger werden kann und dass durch ungeschützten Verkehr auch Krankheiten wie Aids übertragen werden können.“
Und im gleichen Atemzug erwähnt er, dass auch gegen das Corona-Virus kaum Schutz angeboten wird. „Die Regierung stellte keine Mund-Nasen-Masken zur Verfügung. Zumindest nicht unentgeltlich. Und da die meisten Kinder und ihre Familien zu arm sind, um sich Masken leisten zu können, sind hier viele Menschen völlig schutzlos dem Virus ausgesetzt.“
Doch trotz aller Widrigkeiten und der schwierigen Bedingungen, unter denen Ken aufwuchs und unter denen er auch jetzt arbeiten und leben muss: Den Glauben daran, dass alles gut wird, den hat er nie verloren.
Und dann erzählt er uns am Ende des Gesprächs etwas, was das Ganze nicht besser hätte unterstreichen können: „Nachdem meine Verlobte im letzten Jahr verstorben ist, dachte ich, ich werde nie wieder froh. Mein Herz war gebrochen. Es es war sehr schlimm. Doch nun habe ich eine neue Liebe gefunden und wir werden noch in diesem Jahr heiraten.“