Zehn Jahre Hamburger* mit Herz. Ein toller Anlass, um zurückzublicken, auf Anfänge, Herausforderungen und Erfolge des Hamburger Vereins. Den Auftakt unserer Interviewreihe mit den Vereinsgründern macht Gorden Isler. Er ist Unternehmer, Finanzexperte, Seenotretter und ehemaliger Vorstand von Hamburger* mit Herz e.V.. Im Gespräch verrät er, welche Ängste er in Äthiopien ausstand und warum der Verein heute genauso wichtig ist wie vor 10 Jahren.
Hamburger* mit Herz e.V.: Gorden, du bist Gründer Nummer eins. Also die Person, mit der bei Hamburger* mit Herz e.V. alles begann. Wie kam es dazu?
Gorden Isler: Es war kurz nach dem Erdbeben auf Haiti im Januar 2010. Damals war ich mit Freunden im Urlaub auf La Palma. Ich habe die Bilder des Unglücks gesehen und wie schlecht es den Menschen ging. Ich habe ich mich so wahnsinnig machtlos gefühlt. Da war es mir auf einmal ganz klar. Ich wollte einen Verein schaffen, mit dem man selbst gestalten kann – nicht nur bezahlen und sich quasi freikaufen. Als ich wieder zuhause war, habe ich meine Freunde dazu gebracht, mit mir den Verein zu gründen. Auf den Namen kam ich, weil ich Hamburger bin und die Welt einfach mehr Herz braucht.
Wie ging es dann weiter?
Zu Anfang haben wir Spendenaktionen gemacht – also mit meiner Firma fairvendo Bürofußball gespielt und so was. Dabei haben wir kleine, vierstellige Beträge gesammelt und sie zusammen mit dem Förderverein der Schule Mekerie e.V. für Mekerie in Äthiopien gespendet. Ich kannte einen der Vorstände des Vereins und wusste daher, dass das Geld auch wirklich ankommen würde. Ziemlich schnell hat ein Freund gesagt, es reiche nicht, nur zu spenden, ich muss jetzt auch hinfahren. Dann kamen mit der Zeit immer mehr Projekte hinzu. 2015 haben wir dann in Hamburg das Integrationsprogramm begonnen.
„Eine Lektion meines Lebens ist, dass man die Dinge erst dann richtig versteht, wenn man vor Ort mit ihnen konfrontiert wird.“
Mittlerweile warst du fünf Mal in Mekerie. Wie war das erste Mal für dich?
Eine echte Herausforderung. Ich kam aus meiner Finanzblase und hatte im Ausland noch nie etwas anderes gesehen als nette Hotels. Auch mit Armut wurde ich bis dahin nur im deutschen Maßstab konfrontiert. Natürlich hatte ich mich vorbereitet, aber ich hatte so viel Angst, dass ich meine Frau am Flughafen in Amsterdam angeschrien habe, weil sie mich dazu gebracht hatte, zu fliegen.
Aber es ging alles gut?
Naja, ganz unberechtigt war meine Angst nicht. Während wir dort waren, wurden deutsche Touristen an der Grenze zu Eritrea erschossen. Also es ist wirklich nicht ungefährlich. In der ersten Nacht hatte ich dann auch Todesangst, vor Schlangen und Räubern – eigentlich vor allem. Beim zweiten Mal wurde es schon besser, vor allem, weil ich mich darauf gefreut habe, viele der Menschen vor Ort wieder zu sehen. Eine Lektion meines Lebens ist, dass man die Dinge erst dann richtig versteht, wenn man vor Ort mit ihnen konfrontiert wird. Mit den Menschen zu leben, alles zu sehen, zu hören, zu riechen, sich der Situation bewusst auszusetzen, ist etwas ganz anderes, als sie nur aus der Distanz zu betrachten.
Glaubst du also, dass Dokumentationen oder Bilder in der Zeitung die Leute nicht aufrütteln können?
Ich denke, es geht vielen so, dass sie die Situation erst begreifen, wenn sie sich der Lage selbst ausliefern. Ich glaube, die meisten Menschen sind nicht mal mehr in der Lage Dokumentationen vom Unterhaltungsprogramm zu unterscheiden. Es ist eben ein hässlicher Film. Aber ich verstehe auch die Menschen, die Angst vor dem Fremden haben und davor, was es mit ihnen tut. Ich hatte erst beim dritten Besuch in Äthiopien keine Angst mehr, ab dem vierten Mal konnte ich es dann genießen.
Mittlerweile unterstützt Hamburger* mit Herz e.V. auch ein Projekt in Kenia, hat ein Integrationsprogramm und Deutschkurse in Hamburg und auch ein Projekt um Hamburgern* und Geflüchteten Kultur näher zu bringen. Hättest du gedacht, dass sich Hamburger* mit Herz e.V. mal so entwickelt?
Ich bin Unternehmer, da bekommt man diesen Wachstumswahnsinn quasi anerzogen. Also ja, ich konnte mir das vorstellen. Aber mir war auch klar, dass es dafür die richtigen Leute braucht. Ein Verein ist keine Firma, in der man den Ton angibt und alle folgen. Ich habe mir rechtzeitig tolle Unterstützung geholt, von der ich wusste, dass sie den Verein voranbringt. Björn Schmitz zum Beispiel war ein Kunde von mir. Ich wusste, dass er tolle Fotos und Filme macht und habe ihn bekniet mitzukommen. Heute ist er Vorsitzender. Auch Benjamin Holm war ein Kunde. Als ich gemerkt habe, dass er Ahnung von sozialer Arbeit hat, habe ich ihn gebeten uns als Referent zu unterstützen. Ich wusste einfach, dass er helfen würde, den Verein groß zu machen. Aber das ist eben auch meine Stärke. Ich habe die Gelegenheit, viele neue Leute kennenzulernen. Dann sehe ich, welche Potenziale diese Menschen haben und wie es dem Vereinen nützen kann.
„Wenn man Menschen Raum lässt, dann entstehen tolle Sachen. Ich finde es sehr gut, wie sich der Verein entwickelt.“
Welche Rolle hast du aktuell bei Hamburger* mit Herz e.V.?
Ich habe mich seit einiger Zeit zurückgezogen. Neben meinem eigenen Unternehmen bin ich mittlerweile auch Vorsitzender von Sea-Eye e.V. und für das deutsche Rettungsschiff ALAN KURDI mitverantwortlich. Hamburger* mit Herz e.V. berate ich vor allem bei Fundraising Aktionen und helfe mit Förderanträgen. Hier kann ich mein Know-How einbringen, dass ich dank Sea-Eye e.V. auf ein ganz neues Level heben konnte.
Ist es dir schwergefallen den Verein immer weiter loszulassen?
Nein. Er ist in den Händen von ganz tollen Leuten und ich selbst hätte es auch nicht mehr geschafft. Bei anderen NGOs habe ich gesehen, wie schwierig es ist, wenn die Gründer sich ständig einmischen. Aber, wenn man Menschen Raum lässt, dann entstehen tolle Sachen. Ich finde es sehr gut, wie sich der Verein entwickelt und freue mich sehr, wenn ich Björn Schmitz, Katrin John, Beate Glamann, Anna Punke-Dresen und Anja Werner dabei unterstützen kann, was sie jetzt machen.
Was macht Hamburger* mit Herz e.V. für dich aus?
Ich habe Hamburger* mit Herz e.V. mit dem Gedanken gegründet nicht nur rum zu quatschen, sondern konkret zu helfen. Heute ist das im Prinzip nicht anders. Der Verein ermöglicht sehr viel Teilhabe und hat ein sehr breites Spektrum. Die Entwicklungszusammenarbeit in Äthiopien und Kenia ist ja nur ein Teil. Wir haben unseren Integrationsbereich und machen jetzt mit unserem Kulturverstärkerprogramm auch noch etwas für Hamburger Jugendliche.
Es ist ein Verein, wo man einfach hingehen kann, wenn man etwas machen will. Egal, ob es permanent oder punktuell ist. Man kann sich vielfältig engagieren und die Herzkammer ist der Ort dafür. Früher habe ich immer gesagt, es ist das soziale Fitnessstudio für Hamburg. Und heute ist die Herzkammer genau das, ein Ort, an dem man nicht seine Muskeln trainiert, sondern sein Herz.
Welches Erlebnis in den zehn Vereinsjahren war für dich am schönsten?
Am schönsten war es für mich Tiruye Mullat Tega zu helfen. Als ich 2012 in Äthiopien war, habe ich das Mädchen kennengelernt. Sie brauchte dringend eine Herz-OP, ansonsten standen ihre Überlebenschancen bei null. Zurück in Deutschland haben wir eine Spendenaktion gestartet und uns den Arsch aufgerissen. Nach sechs Wochen und vielen schlaflosen Nächten hatten wir das Geld zusammen. Sie dann in Berlin-Tegel vom Flughafen abzuholen und zu erleben, wie sie die OP gut übersteht, war einfach irre. Es hat mit gezeigt, was geht und wozu Menschen bereit sind. Viele Leute haben mitgeholfen, weil ihr Einzelschicksal sehr viele Menschen berührt hat. Es war eine tolle Lebenserfahrung, dass man, nicht alleine dastehen muss, wenn man sich um einen ganz konkreten Menschen kümmert, sondern, dass sich andere mit verantwortlich fühlen.
„Der Großteil der Gesellschaft ist mehr als bereit zu helfen. Es gibt keine Mehrheit in der deutschen und auch nicht europäischen Bevölkerung, die bereit ist Menschen, ertrinken, erfrieren oder erschießen zu lassen.“
Gab es auch Probleme in den letzten zehn Jahren?
Es war nie so schlimm wie jetzt zum Beispiel bei der Seenotrettung mit Sea-Eye e.V. , wo die Politik mit reinspielt. Hamburger* mit Herz e.V. stört in dem Sinne ja niemanden. Die größte Herausforderung ist eigentlich die Bereitschaft der Leute. Ein paar Wochen nachdem wir Tiruye Mullat Tega helfen konnten, erreichte uns ein Hilferuf von Iryna Kolesnikova. Die 21-Jährige brauchte ebenfalls dringend eine Operation. Für sie mussten wir ein ganzes Jahr lang Spenden sammeln. Unsere Erfahrung war, dass Kinder schneller gerettet werden, als Erwachsene. Interessant finde ich immer, dass die Leute sagen, Seenotrettung sei keine Lösung und man solle direkt vor Ort etwas tun. Aber auch das haben wir gemacht und viele haben nicht geholfen, weil sie dann meinten, man müsse etwas in Hamburg machen z. B. für Obdachlose.
Wie gehst du mit solchen Kritikern um?
Auf diese Stimmen höre ich nicht. Menschen werden immer einen Grund finden, um nicht zu helfen. Das machen sie aber nicht, um es dir zu erklären, sondern um es sich selbst zu erklären. Aber ich glaube, der Großteil der Gesellschaft ist mehr als bereit zu helfen. Es gibt keine Mehrheit in der deutschen und auch nicht europäischen Bevölkerung, die bereit ist Menschen, ertrinken, erfrieren oder erschießen zu lassen. Jeder, der sich engagieren will, kann das tun. Die Herzkammer ist ein perfekter Ort, in den man einfach rein gehen und mit anpacken kann. Es gibt jede Menge zu tun und dabei ist es ganz egal, ob man nur einmal kommen kann oder permanent helfen möchte.