„Wenn ich erstmal den Kurs gegeben habe, dann fühle ich mich richtig gut und aufgetankt!“
Es ist Donnerstagabend, 18:55 Uhr. In fünf Minuten habe ich ein Video-Interview mit zwei Frauen: Natalie von Oswald und Melanie Goldberg – beide hochengagiert, beide für das Sprachprojekt in Altona zuständig. Ich bin gespannt auf alles, was sie mir erzählen werden. Und stelle am Ende des Telefonats fest: Das war nicht nur interessant, das war auch alles ziemlich inspirierend! Hier könnt ihr nun lesen, was die beiden genau in ihrem Ehrenamt tun, was sie antreibt und was sie denjenigen sagen, die sich zwar engagieren wollen, aber bisher den Sprung dahin noch nicht geschafft haben.
Melanie, Natalie, schön, dass ihr das Telefonat einrichten konntet!
Wir sprechen ja heute zum ersten Mal miteinander und ich weiß noch nicht so viel über euch. Wer seid ihr außerhalb eures Engagements bei Hamburger mit Herz?
Natalie: Ich bin Natalie, 52 Jahre alt, verheiratet, habe ein Kind und bin gebürtige Amerikanerin. Ich komme ursprünglich aus New York, habe in Los Angeles Psychologie studiert und bin dann, vor 30 Jahren, wegen der Liebe nach Deutschland gekommen. Und wenn ich nicht bei Hamburger mit Herz aktiv bin, dann arbeite ich, als ehemalige Produzentin in der Werbe Branche, als Produktionsassistentin und als Inneneinrichterin für Restaurants oder private Häuser.
Melanie: Ja und ich bin 44, habe Englisch, Neuere dt. Literaturwissenschaften und Volkskunde auf Magister studiert und bin verheiratet. Ich habe zwei kleine Kinder und bin eigentlich, quasi im wahren Leben, Hochzeitsplanerin!
Wow, ok, das klingt nach recht zeitraubenden Jobs! Umso toller, dass ihr noch die Zeit findet, euch bei Hamburger mit Herz zu engagieren!
Melanie: Ja, ich habe früher teilweise 70-80 Stunden in der Woche gearbeitet. Geheiratet wird halt immer. Aber ich wollte und will was zurückgeben; etwas Konkretes. Und Zeit spenden. Und darum ist es mir trotz Arbeit wichtig, mich im Ehrenamt zu engagieren.
Natalie: Das war und ist bei mir genauso! Ich arbeite 5-6 Tage die Woche, engagiere mich aber trotzdem ehrenamtlich. Ich will und brauche diese Zeit, um ehrenamtliche Arbeit zu tun. Das ist einfach wichtig. Mir persönlich und grundsätzlich.
Sehe ich auch so! Wie kamt ihr beide denn zu Hamburger mit Herz? Es gibt ja in einer Großstadt wie Hamburg unzählige Möglichkeiten, sich zu engagieren?
Natalie: Bei mir war es so, dass ich vor ein paar Jahren am Elbinstitut war und dort ehrenamtlich gearbeitet habe. Da habe ich Englisch unterrichtet und Nachhilfe gegeben. Dann musste das Institut im November 2019 schließen und der Deutschlehrer dort, Christoph Meyring, musste sich nach neuen Räumen umsehen, um weiterzumachen. Er hat dann für eine gemeinsame Kooperation Kontakt zu Hamburger mit Herz aufgenommen und mich gefragt, ob ich mitkommen will, um mich weiter zu engagieren. Da habe ich natürlich JA gesagt. Es war bei mir also keine bewusste Entscheidung, zu Hamburger mit Herz zu gehen, aber es war natürlich eine bewusste Entscheidung, Flüchtlinge zu unterstützen. Ich weiß, wie es ist, als Ausländerin nach Deutschland zu kommen. Und Hürden vor sich zu haben. Da war das dann für mich keine Frage!
Melanie: Ich habe bei Hamburger mit Herz in dem Mentoren-Projekt angefangen. Das war vor ca. 2,5 Jahren. Da habe ich eine junge Frau aus Äthiopien betreut und begleitet. Dann lief die Begleitung aus und ich wurde gefragt, ob ich in den Bereich der Hausaufgabenbetreuung wechseln möchte. Das kam wegen meiner beiden Kinder zeitlich leider nicht in Frage, da die Betreuung nachmittags gewesen wäre. Dann kam ich in das Sprachprojekt und das ist für mich genau das Richtige! Ich hatte ja bereits vorher schon jahrelange Unterrichtserfahrung in der Erwachsenenbildung und habe gesehen, wie toll und effektiv es sein kann, kleinere Gruppen zu unterrichten.
Und da unterrichtet ihr dann einmal die Woche, richtig?
Melanie: Genau. Jeden Freitag von 10-14 Uhr unterrichten wir Englisch. Eine Gruppe von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr. Die andere dann von 12:30 Uhr bis 14 Uhr. In der Regel unterrichtet jede von uns zwei Freitage hintereinander. Und dieser Englischkurs ist quasi Teil eines Pakets: Die Geflüchteten lernen eigentlich Deutsch und machen am Ende die Prüfung für das B2-Sprachzertifikat. Dazu kommen dann noch Mathe und eben unser Englischangebot. In Englisch und Mathe müssen die Teilnehmer keine Prüfung ablegen; die Fächer sind aber Teilnahmebedingung.
Wow, das ist ja schon eine ganz schöne Herausforderung für die Teilnehmer!
Natalie: Ja, genauso ist das! Die Schüler aus dem Kurs kommen aus Ländern, wo sie zum Teil nur Unterricht bis zur fünften Klasse hatten. Das ist ja nicht wie in Westeuropa, dass man zur Grundschule geht und dann auf eine weiterführende Schule. Das ist für die Teilnehmer alles keine Selbstverständlichkeit. Man muss immer bedenken: Die fangen fast bei Null an. Deswegen ist zum Beispiel Mathe auch so wichtig. Manche können Mathe nicht so gut.
Melanie: Genau. Es greift alles ineinander. Man muss ja, um durch den Alltag zu kommen, diese Grundkenntnisse in allen Bereichen haben. Und wie Natalie schon sagte: Es ist keiner bei uns, der vorher jemals einen Abschluss gemacht hat.
Ich stelle es mir schwierig vor, sich als Teilnehmer jeden Freitag neu zu motivieren. Drei neue Fächer, davon zwei sind neue Sprachen. Das ist sicher anstrengend. Wie nehmt ihr das so wahr?
Melanie: Also grundsätzlich würde ich sagen, dass die, die da sind, immer unheimlich motiviert sind und total Spaß am Lernen und dem Unterricht haben. Natalie und ich schauen halt, dass wir den Unterricht auch möglichst lebendig gestalten.
Natalie: So ist es. Ich stelle zum Beispiel mit Fragen über ihre Heimat, ihr Lieblingsessen und ihre Lieblingsplätze dort in ihrem Land. Dann sprechen wir darüber und sie erklären mir, was das ist. Das ist besser, als nur vor der Tafel zu stehen und den klassischen Unterricht zu machen. Das ist viel zu trocken. So können die Schüler dann eben aktiv aus ihrem Leben erzählen.
Melanie: Ja. Das Sprechen klappt auf jeden Fall besser als Schreiben oder Lesen. Das ist eher schwierig. Das gesprochene Englisch ist halt auch das Wichtigste. Dass die Teilnehmer später eben auch zurechtkommen und sich verständigen können. Was ich aber auch neben der Stoffvermittlung wichtig finde, ist, generell mal etwas zum Thema Motivation zu machen. Denn ich hatte mal eine Stunde, das war gar nicht schön: Alle waren total down und sagten so Dinge wie: „Wir schaffen nichts. Wir sind so schlecht.“ Da habe ich ihnen gesagt, dass sie doch mal schauen müssen, wo sie herkommen. Was sie schon alles geschafft haben. Die sind ja zum Teil drei bis fünf Monate zu Fuß unterwegs gewesen, um nach Deutschland zu kommen! Das ist Wahnsinn! Wir haben dann echt eine Motivations-Stunde daraus gemacht und ich habe ihnen gezeigt, wie viel Will-Power sie haben, wie stark sie bisher waren, um ihr Ziel zu erreichen. Dass sie jetzt hier in Deutschland sind, weil sie so viel Willensstärke haben. Und dass sie es, trotz der Hürden und der Bürokratie, die ihnen vielleicht noch bevorsteht, weiter schaffen können, hier Fuß zu fassen.
Natalie: Bei mir hilft es auch, dass ich eine Ausländerin bin. Sie sehen: Es ist möglich. Es ist ok. Du kannst hier ein erfolgreiches Leben aufbauen.
Natalie: Was ich auch toll finde: Es kommen mehr und mehr Leute in den Kurs, die keine „klassischen“ Flüchtlinge sind. Also zum Beispiel welche aus Südamerika. Das finde ich gut für die anderen Teilnehmer, die zum Beispiel aus Syrien oder Afghanistan kommen. Wenn dann mal jemand aus Venezuela dabei ist, dann sind die anderen Teilnehmer ganz neugierig und wollen viel erfahren. Die lieben das und finden das richtig spannend, Menschen aus anderen Teilen der Erde kennenzulernen. Und darauf kann man dann im Unterricht aufbauen.
Erzählen euch die Teilnehmer viel aus ihrem Leben und sind schon mal dauerhafte Verbindungen entstanden?
Natalie: Ich frage nicht direkt nach, was sie so erlebt haben. Aber ich frage zum Beispiel, wie sie nach Deutschland kamen und dann sollen sie versuchen, es mir auf Englisch zu erklären. Aber viele Dinge, die die Flüchtlinge erlebt haben, sind so schmerzhaft, da müssen wir sensibel sein. Von daher ist es nicht unbedingt so, dass wir eine dauerhafte Verbindung schließen. Aber wenn mir später jemand erzählt, dass er oder sie die Prüfung geschafft oder einen Ausbildungsplatz bekommen hat, dann ist das ein tolles Gefühl zu wissen, dass man die Person dabei zum Teil unterstützt hat. Das ist dann auch eine Art der Verbindung.
Sich neben dem Hauptberuf ehrenamtlich zu engagieren kann ja auch eine doppelte Belastung sein. Wie empfindet ihr das?
Natalie: Bei mir ist es manchmal so, dass ich Freitagmorgens so müde und kaputt wegen meiner Arbeitsaufträge bin und mich gar nicht auf den Kurs vorbereiten und motivieren kann. Wenn ich dann daran denke, vier Stunden zu unterrichten, denke ich manchmal: Ohje, wie anstrengend. Aber wenn ich dann erstmal den Kurs gegeben hab, dann fühle ich mich danach richtig aufgetankt! Ich fühle mich dann so gut, weil ich etwas für Andere getan habe und das ist ein wahnsinniges tolles Gefühl!
Melanie: Das ist bei mir auch so. Und ich merke dann nach dem Kurs: Man macht im Leben so viel für Geld, aber das mit den Flüchtlingen, das mache ich für und mit dem Herzen!
Wir alle erleben derzeit eine schlimme Pandemie-Zeit. Wie wirkt sich das auf den Sprachkurs aus?
Natalie: Die Deutschkurse finden noch vor Ort statt. Aber ich kann derzeit den Englischkurs nicht geben, da mein Mann Risikopatient ist und ich ihn nicht einer unnötigen Gefahr aussetzen möchte. Das tut mir natürlich leid, ist aber nicht anders machbar.
Melanie: Ja, auch ich bin derzeit nicht vor Ort mit dabei. Ich habe zwei Kinder zu Hause und die müssen betreut werden. Noch dazu will ich, wie Natalie auch, kein Risiko eingehen.
Wir haben dem Projektleiter Christoph angeboten, den Sprachkurs online weiterzumachen. Das fand er auch gut. Aber bislang gab es wenig Resonanz der Teilnehmer dazu. Es ist tatsächlich schwierig.
Natalie: Mir fällt übrigens gerade doch noch eine schöne Geschichte ein, die zu deiner Frage von vorhin passt: Ich hatte mal ein Mädchen aus dem Iran. Die kam über Italien nach Deutschland und ihr Englisch war eigentlich echt schon ganz gut. Darüber hatte ich mich ein bisschen gewundert. Sie hat mir dann erzählt, dass sie die Sprache nur gelernt hat, weil sie in einem Flüchtlings-Camp in Italien war und dort alle Helfer, rotes Kreuz und UNO, nur Englisch gesprochen haben. Und sie war so neugierig und wissbegierig und hat dann angefangen, mit denen zu sprechen. Oder sie hat es versucht. Und dadurch hat sie Englisch gelernt. Das finde ich so toll! Was ein kleines Mädchen, die vorher noch nie wirklich Englisch gesprochen hat, alles schafft. Die hatte so eine Gier, die Sprache zu lernen und etwas aus ihrem Leben zu machen. Das ist schön zu erleben und ein Teil davon zu sein!
Das ist eine wirklich rührende Geschichte! Was sagt ihr denn den Menschen, die zwar helfen wollen, aber sich bisher einfach nicht für ein Ehrenamt aufraffen konnten?
Natalie: Ich denke: Jede Kleinigkeit hilft! Auch wenn man nur mal eine Stunde pro Woche oder eine Stunde im Monat einen Verein, ein Programm oder eine Person unterstützt: Das ist besser als nichts. Man sollte einfach anfangen. Und es ist ja eben auch nicht so, dass man sich für einen langen Zeitraum committen muss. Jeder gibt, was er kann. Aber alles davon kann helfen.
Melanie: Dem stimme ich zu! Und: Man kann ja auch erstmal ausprobieren, was zu einem passt. Man muss für sich das passende Projekt finden, damit man die Arbeit auch gerne macht. Wenn es ein MUSS ist, zu dem man sich aufraffen muss, dann ist das vielleicht der falsche Bereich und man schaut lieber, wo man sich woanders engagieren kann. Das war bei mir ja auch so: Erst war ich im Mentorenprogramm, jetzt im Sprachprojekt und das passt einfach besser zu mir. Dann macht es auch Spaß. Und hilft.
Danke für dieses wahnsinnig aufschlussreiche Gespräch mit euch!